1. Vorbemerkung
Der Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. (CBP) bildet mit mehr als 1.100 Mitgliedern, die Einrichtungen und Dienste der Eingliederungshilfe betreiben, eine der größten Interessenvertretungen von gemeinnützigen Anbietern der sozialen Dienstleistungen für über 200.000 Kinder, Jugendliche und erwachsene Menschen mit Behinderung oder mit psychischer Erkrankung in Deutschland. Die Mitglieder des CBP tragen die Verantwortung für über 94.000 Mitarbeitende und unterstützen die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen am Leben in der Gesellschaft. Der CBP bezieht sich in seiner Stellungnahme insbesondere auf die Perspektive von Menschen mit Behinderung, gerade auch mit hohem Unterstützungs- und Assistenzbedarf. Der CBP begrüßt ausdrücklich, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der vorliegenden Verfassungsbeschwerden Selbstvertreter als sachverständige Dritte hinzugezogen hat und unterstützt die Stellungnahme der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. Ergänzend erlaubt sich der CBP auf Aspekte aus der Praxis hinweisen, die für Menschen mit schweren und Mehrfachbehinderungen in der derzeitigen rechtlichen Lage und im Kontext der angegriffenen Norm von besonderer Bedeutung sind.
2. Sachverhaltsdarstellung
Die beiden Verfassungsbeschwerden richten sich gegen den am 14. Dezember 2022 in Kraft getretenen § 5c des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Diese Norm wurde als Reaktion auf einen früheren Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 1541/20) vom 16. Dezember 2021 geschaffen. Hintergrund dieses Beschlusses war die Verfassungsbeschwerde mehrerer Menschen mit Behinderungen, die eine Verletzung ihrer Grundrechte geltend machten, da staatliche Maßnahmen zur medizinischen Versorgung, insbesondere der intensivmedizinischen Behandlung von Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen während der COVID-19-Pandemie, unzureichend waren. Besondere Besorgnis bestand hinsichtlich der Anwendung von Priorisierungsverfahren, die z. B. auf medizinischen Scores wie der "Critical Frailty Scale" (CFS) basierten. Diese Verfahren führten bei knappen Ressourcen zu einer Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen oder schweren Vorerkrankungen und von anderen Personengruppen.
Der Auslöser für die ursprüngliche Verfassungsbeschwerde war die Veröffentlichung der "Leitlinie zur Priorisierung und Triage bei akuter Ressourcenknappheit" durch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) im Frühjahr 2020. Diese Leitlinie wurde aufgrund ihrer diskriminierenden Wirkung auf Menschen mit Behinderungen scharf kritisiert. Weltweit wurden ähnliche Triage-Leitlinien, die Prognoseskalen wie den CFS oder den Sequential Organ Failure Assessment (SOFA) Score verwenden, ebenfalls als problematisch und diskriminierend eingestuft.
Das Bundesverfassungsgericht teilte diese Bedenken und entschied im Dezember 2021, dass der Staat die Pflicht habe, Menschen mit Behinderungen vor unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung zu schützen. Das Gericht führte aus, dass der Staat insbesondere dann eingreifen müsse, wenn die Gefahr besteht, dass hochrangige grundrechtlich geschützte Rechtsgüter wie das Leben betroffen sind.
Die gesamte Stellungnahme steht Ihnen als Download zur Verfügung.