Die fünf Fachverbände für Menschen mit Behinderung repräsentieren ca. 90 % der Dienste und Einrichtungen für Menschen mit geistiger, seelischer, körperlicher oder mehrfacher Behinderung in Deutschland. Ethisches Fundament der Zusammenarbeit der Fachverbände für Menschen mit Behinderung ist das gemeinsame Bekenntnis zur Menschenwürde sowie zum Recht auf Selbstbestimmung und auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben in der Gesellschaft. Ihre zentrale Aufgabe sehen die Fachverbände in der Wahrung der Rechte und Interessen von Menschen mit geistiger, seelischer, körperlicher oder mehrfacher Behinderung in einer sich immerfort verändernden Gesellschaft.
Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung nutzen die Möglichkeit, zu einzelnen Empfehlungen des Bundesrates vom 24.06.2024 (Br-Drs. 234/1/24) und dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 22.05.2024 eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz - GVSG) Stellung zu nehmen.
A) Stellungnahme zu den Empfehlungen des Bundesrates
Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung begrüßen ausdrücklich die Empfehlungen, nichtärztliche sozialpädiatrische Leistungen in § 43 a SGB V klarstellend als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zuzuordnen. Die Empfehlung des Bundesrates zur Änderung des § 43 a SGB V kann dazu beitragen, dass es künftig keine Streitigkeiten über die Zuständigkeit der nichtmedizinischen pädiatrischen Behandlungsleistungen geben wird und notwendige nichtmedizinische Behandlungen ohne Verzögerungen durchgeführt werden.
Darüber hinaus begrüßen die Fachverbände für Menschen mit Behinderung die Empfehlung des Bundesrates, die Gesundheitskioske mit dem Ziel der Stärkung und Weiterentwicklung der Prävention und Patientensteuerung wieder in das GVSG aufzunehmen, ebenso wie die Primärversorgungszentren mit dem Ziel der Stärkung der hausärztlichen Versorgung in versorgungsschwachen Gebieten, insbesondere mit Blick auf die Zunahme älterer und multimorbider Patient*innen. Ebenso unterstützen die Fachverbände für Menschen mit Behinderung die Empfehlungen zu der Stärkung der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Gleichwohl sehen die Fachverbände für Menschen mit Behinderung dringenden Verbesserungsbedarf in Bezug auf die Bedürfnisse von Patient*innen mit Behinderung und bzw. oder psychischer Erkrankung und die damit verbundene Notwendigkeit, die vorgesehenen Strukturen entsprechend anzupassen und weiterzuentwickeln.
Im Einzelnen:
I. Zu Art. 1 Nr. 4 a (§ 43 a Abs. 1 und Abs. 2 SGB V-neu
Der Bundesrat empfiehlt in § 43 a SGB V klarzustellen, dass versicherten Kindern auch über die Diagnostikphase hinaus ein Anspruch auf nichtärztliche sozialpädiatrische Behandlungs- und Therapieleistungen in Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) zusteht. Er schlägt insoweit vor, in § 43 a Abs. 1 SGB V den einschränkenden Passus "und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen" zu streichen.
Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung begrüßen diese Empfehlung ausdrücklich. Denn die derzeitige gesetzliche Regelung führt dazu, dass die nichtärztlichen sozialpädiatrischen Leistungen in SPZ nur bis zur Diagnostik und Aufstellung eines Behandlungsplans sicher über die GKV vergütet werden.
Für die darüber hinausgehenden sozialpädiatrischen Behandlungs- und Therapieleistungen sieht sich die GKV aufgrund des derzeitigen Wortlauts des § 43 a SGB V nicht in der Zuständigkeit. In der Folge wurden in den meisten Bundesländern zusätzliche Vereinbarungen mit den Trägern der Eingliederungshilfe oder der Kinder- und Jugendhilfe zur Sicherstellung der Leistungen geschlossen.
Allerdings ziehen sich die Leistungsträger der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe aus diesen Vereinbarungen immer weiter zurück. Grund hierfür ist eine Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12.10.2018 (Az.: L 24 KA 37/17 KL). Das LSG hat in seinem Urteil einen Schiedsspruch für rechtmäßig erklärt, der die Krankenkasse verpflichtete, die vollständigen Kosten für die im SPZ erbrachten Leistungen zu übernehmen. Diese umfassten neben der Diagnostik und Behandlungsplanung auch die Therapie sowie die auf ärztliche Veranlassung erbrachten nichtärztlichen sozialpädiatrischen Leistungen.
Die derzeitige Rechtslage führt nunmehr zu Streitigkeiten zwischen den Leistungsträgern und zu Verzögerungen der Behandlungsleistungen bis hin zu Versorgungslücken, da sich weder die GKV noch die Eingliederungshilfe oder die Kinder- und Jugendhilfe in der Verantwortung sehen.
Eine klare gesetzliche Zuordnung der nichtärztlichen Behandlungs- und Therapieleistungen als wichtiger Bestandteil der sozialpädiatrischen Behandlung, der über die GKV zu finanzieren ist, ist daher längst überfällig. Der Tendenz der GKV, sich aus der Finanzierungsbeteiligung der sozialpädiatrischen Zentren herauszuziehen, wird damit erfolgreich entgegengewirkt.
Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung fordern daher, entsprechend der Empfehlung des Bundesrates in § 43 a SGB V den Passus "und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen" zu streichen.
Darüber hinaus weisen die Fachverbände für Menschen mit Behinderung darauf hin, dass auch bei den Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen gem. § 119 c SGB V (MZEB) strittig ist, ob sie über die Diagnostikphase hinaus einen Behandlungs- und Therapieauftrag haben, der über die GKV finanziert wird. MZEB wurden spiegelbildlich zu SPZ geschaffen, um Menschen mit Behinderung auch über das 18. Lebensjahr hinaus eine ergänzende spezifische Versorgung zu ermöglichen. Allerdings ist u. a. wegen der ungeklärten Frage des Behandlungsauftrags bislang noch keine flächendeckende Versorgung erreicht.
Um diesbezügliche Streitigkeiten in den Zulassungsverfahren und die Entstehung von Leistungslücken, wie bei der Versorgung durch SPZ, zu vermeiden, sollte auch in der Vorschrift des § 43 b Abs. 1 SGB V, der eine spiegelbildliche Regelung des § 43 a SGB V für MZEB enthält, der gleichlautende Passus "und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen." gestrichen werden.
Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung fordern daher, auch in § 43 b SGB V den Passus "und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen" zu streichen.
II. Zu Art. 1 Nr. 4 a (§ 65 g SGB V-neu)
Die vollständige Stellungnahme steht Ihnen als Download zur Verfügung.