Stellungnahme / Änderungsvorschlag
Die Anlage der KHB-RL sollte folgendermaßen geändert werden:
Die Fallgruppen 1 und 2 sollten keine "erhebliche" oder "komplette" Schädigung der mentalen Funktion bzw. keine "erhebliche" oder "komplette" Beeinträchtigung der Kommunikation voraussetzen. Vielmehr sollte eine "einfache" Schädigung der mentalen Funktion bzw. eine "einfache" Beeinträchtigung der Kommunikation ausreichen.
Begründung
Derzeit sind die Merkmale der Fallgruppe 1 bzw. 2 erfüllt, wenn die Beeinträchtigung der Mitwirkungsfähigkeit auf eine "erhebliche" bzw. "komplette" Schädigung der mentalen Funktionen zurückzuführen ist oder die Patient*in "erheblich" bzw. "komplett" in der Kommunikation beeinträchtigt ist. In den Tragenden Gründen zur Anlage der KHB-RL auf der Seite 13 wird zudem Folgendes ausgeführt:
"Entsprechend der Gesetzesbegründung soll eine Begleitung aus medizinischen Gründen sowohl bei Menschen mit schweren geistigen Behinderungen als auch bei Menschen ohne sprachliche Verständigungsmöglichkeiten in Betracht kommen."
Diese Formulierungen können ggf. so missverstanden werden, dass Menschen mit einer leichten/mittelgradigen geistigen Behinderung bzw. einer leichten/mittelgradigen Kommunikationsbeeinträchtigung nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören.
In diesem Fall würden aber Personen von der Leistung ausgeschlossen, die durchaus einen Begleitungsbedarf haben können.
So kann bspw. nicht nur bei einer schweren/erheblichen, sondern auch bei einer mittelgradigen oder leichten geistigen Behinderung ein Begleitungsbedarf bestehen, weil die Kooperationsbereitschaft in der Ausnahmesituation der Krankenhausbehandlung bspw. aufgrund von Ängsten oder Schmerzen erheblich eingeschränkt ist oder Verhaltensauffälligkeiten auftreten.
Gleichermaßen können auch Kommunikationsbeeinträchtigungen, die sich im Alltag nur leicht zeigen, aufgrund der besonderen Behandlungssituation verstärkt werden und dazu führen, dass die Kommunikations- und Reflektionsfähigkeit - insbesondere bei gleichzeitigem Vorliegen einer leichten geistigen Behinderung - so eingeschränkt sind, dass eine gute Diagnostik/Behandlung nicht ohne unterstützende Begleitung gewährleistet werden kann.
Um eine vollständige Erfassung des Personenkreises mit Begleitungsbedarf zu gewährleisten, darf es daher nicht maßgeblich sein, ob die zugrunde liegende Schädigung oder die Beeinträchtigung der Kommunikation "erheblich" ist. Vielmehr muss es darauf ankommen, dass die Kooperationsbereitschaft oder die Kommunikation im Ausnahmefall der Krankenhausbehandlung so eingeschränkt ist, dass sie eine gute Behandlung verhindert. Dies kann auch bei einer "einfachen" Schädigung der mentalen Funktionen bzw. einer "einfachen" Beeinträchtigung der Kommunikation der Fall sein.
Eine entsprechende Änderung der Fallgruppen 1 und 2 würde auch nicht dazu führen, dass Personen erfasst werden, die tatsächlich keinen Begleitungsbedarf haben. Denn zusätzlich zum Vorliegen der Fallgruppe 1 oder 2 ist nach der KHB-RL erforderlich, dass einer der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 ff. KHB-RL beschriebenen Fälle gegeben ist, also bspw. die Behandlung ohne die Begleitung nicht durchführbar wäre. Zudem wird der anspruchsberechtigte Personenkreis bereits durch § 44b Abs. 1 Nr. 1c SGB V, der den Bezug von Eingliederungshilfe voraussetzt, eingegrenzt.
Stellungnahme / Änderungsvorschlag
§ 113 Abs. 6 SGB IX i. d. F. 01.11.2022 muss bei der Beschreibung des Personenkreises nach § 44b SGB V einbezogen werden. Der in der Gesetzesbegründung zu § 113 Abs. 6 SGB IX beschriebene Personenkreis sollte in die Tragenden Gründe zur KHB-RL übernommen werden.
Begründung
Laut der Gesetzesbegründung zu § 44b Abs. 2 SGB V, mit dem der G-BA zum Erlass der vorliegenden KHB-RL beauftragt wurde, soll bei der Ermittlung des Personenkreises § 113 Abs. 6 SGB IX einbezogen werden (BT-Drs. 19/31069, S. 191). In der Gesetzesbegründung zu § 113 Abs. 6 SGB IX werden bereits Beispielsfälle genannt, in denen ein Begleitungsbedarf bestehen kann. Es werden in diesem Zusammenhang folgende Fallkonstellationen genannt (BT-Drs. 19/31069, S. 192):
Zum Zweck der Verständigung bei: Menschen mit Behinderungen, die nicht in der Lage sind, ausreichend sprachlich zu kommunizieren wie Menschen mit Dysarthrie, Anarthrie (Störungen des Sprechens, die durch angeborene oder erworbene Schädigungen des Gehirns verursacht werden) und Aphasie (erworbene Beeinträchtigungen der Sprache) sowie z. T. Menschen mit geistigen bzw. komplexen Behinderungen (weil sie z. B. die eigenen Krankheitssymptome nicht deuten oder für Außenstehende verstehbar mitteilen können) oder Menschen mit Autismus. Zum Zweck der Unterstützung im Umgang mit Belastungssituationen bei: Insbesondere Menschen mit geistigen Behinderungen, die behinderungsbedingt nicht die für die Behandlung erforderliche Mitwirkung erbringen können bzw. ihre stark ausgeprägten Ängste und Zwänge oder ihr Verhalten behinderungsbedingt nicht kontrollieren können oder Menschen mit seelischen Behinderungen, die vor allem durch schwere Angst- oder Zwangsstörungen beeinträchtigt sind."
Diese Beispielsfälle sollten zumindest in den Tragenden Gründen zur KHB-RL erwähnt werden, um die Einbeziehung des § 113 Abs. 6 SGB IX bei der Erarbeitung der KHB-RL zu gewährleisten.
Derzeit wird in den Tragenden Gründen auf Seite 13 nur Folgendes ausgeführt:
"Entsprechend der Gesetzesbegründung soll eine Begleitung aus medizinischen Gründen sowohl bei Menschen mit schweren geistigen Behinderungen als auch bei Menschen ohne sprachliche Verständigungsmöglichkeiten in Betracht kommen."
Hier sollten die oben genannten Fälle ergänzt werden. Denn diese umfassen alle Menschen mit geistiger Behinderung. Eine explizite Nennung von Menschen mit "schwerer" geistiger Behinderung erfolgt nicht. Zusätzlich könnte man in die KHB-RL oder in die Tragenden Gründe den Hinweis aufnehmen, dass die medizinische Notwendigkeit indiziert ist, wenn im Gesamtplan gem. § 121 Abs. 4 Nr. 7 SGB IX i. d. F vom 01.11.2022 ein Begleitungsbedarf festgestellt wurde.
Dies würde einen Gleichklang der in § 44b SGB V und § 113 Abs. 6 SGB IX geregelten Parallelansprüche auf Krankenhausbegleitung begünstigen und etwaigen Leistungslücken vorbeugen. Leistungslücken könnten anderenfalls bspw. in der folgenden Konstellation entstehen:
Der Träger der Eingliederungshilfe stellt im Gesamtplanverfahren einen Begleitungsbedarf gem. § 113 Abs. 6 SGB IX beim Vorliegen einer mittelgradigen geistigen Behinderung fest, aber die Begleitung kann durch Angehörige übernommen werden. In der Folge bestünde ggf. kein Anspruch gegen den Träger der Eingliederungshilfe, da die Begleitung durch Angehörige wegen der familiären Einstandspflichten vorrangig sein kann (vgl. BT-Drs. 19/31069, S. 193).
Die begleitenden Angehörigen könnten dann zwar einen Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse gem. § 44b SGB V haben. Voraussetzung ist hier aber, dass die Begleitung medizinisch notwendig ist. Wendet der oder die feststellende Ärzt*in zur Beurteilung dieser Frage nun die Kriterien aus der KHB-RL an und wird dort in den Tragenden Gründen nur eine "schwere" geistige Behinderung genannt bzw. in der Fallgruppe 2 von einer "erheblichen" Beeinträchtigung der mentalen Funktionen gesprochen, kommt sie ggf. zu dem Ergebnis, dass keine medizinische Notwendigkeit für die Begleitung besteht.
In diesem Fall würde weder der Träger der Eingliederungshilfe noch die Krankenkasse die Begleitungskosten übernehmen, obwohl zumindest ein Träger den Begleitungsbedarf anerkannt hatte.
Die gesamte Stellungnahme steht Ihnen weiter unten als Download zur Verfügung.