"Chronischen Burnout" auf Sozial-Wohnungsmarkt stoppen: 210.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr
Das Pestel-Institut hat zusammen mit dem Bauforschungsinstitut ARGE (Kiel) des Landes Schleswig-Holstein am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Berlin eine Studie zur Lage auf dem Wohnungsmarkt vorgestellt: "Das Bauen und Wohnen in Deutschland sozial neu justieren" - so der Titel der Untersuchung, die die beiden Institute im Auftrag des Bündnisses "Soziales Wohnen" gemacht haben. In dem Bündnis haben sich der Deutsche Mieterbund (DMB), die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) und die Bau-Gewerkschaft (IG BAU) zusammengeschlossen. Ebenso die Bundesverbände der Mauerstein-Industrie und des Baustoff-Fachhandels.
Das Fazit der Studie: Deutschland muss in den Turbogang schalten, wenn es darum geht, mehr Sozialwohnungen zu schaffen. Wie das gelingen kann, dazu hat das Bündnis "Soziales Wohnen" jetzt einen Katalog mit fünf zentralen Forderungen aufgestellt:
1. Zielvereinbarungen und bundesweites Sozialwohnungsregister
Für eine Trendwende beim sozialen Wohnen sind pro Jahr 100.000 neue geförderte Wohnungen notwendig - und darüber hinaus 75.000 Sozialbindungen im Bestand. Bund, Länder und Kommunen müssen entsprechende Ziele vereinbaren. Und sie müssen die Grundlage dafür schaffen: Die Einführung eines bundesweiten Sozialwohnungsregisters - mit allen relevanten Daten (Zahlen der Sozialwohnungen in den Kommunen, Neubau sowie Dauer, Verlängerung und Ankauf von Belegungsrechten) für eine optimale Planung und Kooperation aller staatlichen Ebenen.
2. Grundgesetz-Garantie für Neubau-Förderung von Sozialwohnungen
Sozialwohnungsbau nicht nach "schwankender Haushaltslage": Um eine kontinuierliche Neubau-Förderung von Sozialwohnungen auf sichere fiskalische Füße zu stellen, sollen die notwendigen Bundesmittel dazu per Grundgesetz garantiert werden. Bei der Subvention für den sozialen Wohnungsbau gilt: Für 100.000 neu gebaute Sozialwohnungen ist eine Bund-Länder-Förderung von 11 Milliarden Euro notwendig. Mindestens diese Summe sollte jährlich in einemlangfristigen und haushaltsunabhängigen Sozialwohnungsbau-Fonds bereitgestellt werden.
3. 7 statt 19 Prozent Mehrwertsteuer für den Neubau von Sozialwohnungen
Ermäßigter Steuersatz für Neubau von Sozialwohnungen: Um die Kosten beim sozialen Wohnungsbau zu senken, soll es eine rasche Reduzierung der Mehrwertsteuer von 19 auf7 Prozent geben. Und zwar auf alle Bauleistungen für Wohngebäude, in denen mindestens zwei Drittel der Wohnungen Sozialwohnungen sind.
4. Regelstandards für Sozialwohnungsbau
Regio-Standards: Es soll bundesweit in allen Regionen Regelstandards für den Neubau von Sozialwohnungen geben. Ziel ist es, günstigere Baupreise für Sozialwohnungen durch einen einheitlichen Standard vor Ort bei guter Qualität zu bekommen.
5. 10-Prozent-Quote bei Vergabe von Sozialwohnungen
Sozial-Quote: Bundesweit soll es künftig in allen Kommunen "Wohn-Härtefallkommissionen" geben, die über ein 10-Prozent-Kontingent der zu vergebenen Sozialwohnungen entscheiden. Ziel ist es, damit vor Ort die Berücksichtigung sozialer Kriterien bei Wohnungsvergaben zu garantieren. Benachteiligte Menschen - insbesondere Menschen mit Behinderung - sollen dadurch eine deutlich bessere Chance bekommen, auf dem Wohnungsmarkt Fuß zu fassen. Außerdem soll ab sofort auch bei den jährlich neu gebauten Sozialwohnungen ein Kontingent von mindestens 10 Prozent für Menschen mit Behinderung bereitgestellt werden. Im Fokusdabei: kleine und barrierearme Wohnungen.
Janina Bessenich, Geschäftsführerin des Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) fordert, die Diskriminierung am Wohnungsmarkt zu beenden und jede 10. Sozialwohnung künftig Menschen mit Behinderung anzubieten.
Es fehlen Fachkräfte - überall. Vor allem aber auch in der Betreuung von Menschen mit Behinderung und pflegebedürftiger Menschen. Wer Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben will, muss aber wissen: Es wird keiner kommen, wenn er nicht in Deutschland bezahlbar wohnen kann. Mit dem Wohnen steht und fällt der Arbeitsmarkt. Genauer gesagt: Das Angebot an sozialen und bezahlbaren Wohnungen entscheidet darüber, wie es mit Deutschland wirtschaftlich weitergeht. Und auch darüber, wie gut die Betreuung und die Pflege in Deutschland sein werden: Menschen mit Behinderung und ältere Menschen - alle, die Unterstützung und Pflege brauchen, sind darauf angewiesen, dass die, die sie unterstützen sollen, auch wohnen können.
Es geht vor allem aber auch um Menschen mit Behinderung: Sie haben ohnehin jetzt schon keine Chance, eine Wohnung zu finden. Sie werden auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert. Menschen mit Behinderung und benachteiligte Bevölkerungsgruppen sind vom Wohnungsmarkt quasi ausgeschlossen. Deshalb auch die klare Forderung: Wir brauchen ein 10-Prozent-Kontingent bei den Sozialwohnungen - wir brauchen eine feste "Sozial-Quote". Benachteiligte Menschen müssen endlich wieder eine Chance bekommen, auf dem Wohnungsmarkt Fuß zu fassen: Jede zehnte barrierearme Sozialwohnung, die vergeben wird, soll deshalb gezielt Menschen mit Behinderung angeboten werden.
Die Politik fährt im Wohnungsbau seit Jahren auf Sicht. Wir brauchen eine Zeitenwende, um aus der Sackgasse im sozialen Wohnungsbau herauszukommen. Soziale Unternehmen wie die Caritas brauchen Zugang zu bezahlbaren kommunalen Grundstücken. Es muss Förderprogramme geben, um Wohnraum für Menschen mit Behinderung und für sozial benachteiligte Menschen zu schaffen.
In den Forderungen an die Politik macht sich der CBP für den sozialen Wohnungsbau stark und fordert von Regierenden, Räume für ein selbst bestimmtes Leben zu bieten.